Der Tag hatte für die Eisläuferin Julia denkbar schlecht begonnen. Eine verpasste Trainingseinheit, eine enttäuschende Nachricht aus der Leitung des Steinkamp-Kaders und ein Gefühl der Überforderung hatten sich wie ein Sturm über ihr zusammengebraut. Als der Abend kam, suchte sie nach einer Möglichkeit, den Druck loszuwerden – und fand sich in der Bar wieder, umgeben von Freunden und einer wachsenden Sammlung leerer Gläser.
„Ein Gin Tonic, aber den teuren, bitte,“ sagte Julia, während sie die Situation mit einem halbherzigen Lächeln überspielte. Doch das Lächeln täuschte nicht über ihre innere Unruhe hinweg. Ein Kollege aus dem Team, Lena, bemerkte das und versuchte vorsichtig einzugreifen: „Julia, vielleicht solltest du es gut sein lassen. Morgen hast du Training.“
„Training? Wofür?“ Julia hob ihr Glas und ließ ihre Stimme lauter werden. „Mein Vater wird mich sowieso nie ernst nehmen. Und im Kader bin ich nur, weil jemand anderes abgesprungen ist. Also warum sollte ich nicht noch einen Drink nehmen?“
Die Gruppe um sie herum wurde still, unsicher, wie sie reagieren sollten. Julia lachte nervös, als ob sie die Spannung brechen wollte, und bestellte trotzdem eine Flasche Champagner. „Auf unseren beschissenen Tag!“ rief sie und stieß mit sich selbst an.
Doch dann kam der Punkt, an dem alles kippte. Lena griff erneut ein: „Julia, das reicht jetzt. Du kannst so morgen nicht auf dem Eis stehen.“
„Ich brauche doch gar nicht auf dem Eis zu stehen!“ Julia knallte ihr Glas auf den Tisch. „Weißt du, warum ich mich so fühle? Nicht, weil ich lesbisch bin, wie ihr alle denkt. Nein, sondern weil ich immer das Gefühl habe, nicht genug zu sein. Egal, wie sehr ich mich anstrenge.“
Die Worte hingen schwer in der Luft. Lena setzte sich zu Julia und sprach leise, aber fest: „Du bist mehr als genug. Aber du kannst dich nicht ständig selbst sabotieren. Du bist eine verdammt talentierte Eisläuferin, und das weißt du auch.“
Julia starrte in ihr leeres Glas und schien für einen Moment nachzudenken. „Vielleicht hast du recht,“ murmelte sie, „aber heute… heute will ich einfach alles vergessen.“
Die Nacht endete, als Lena Julia half, ein Taxi zu rufen. Während Julia in das Auto stieg, sah sie Lena an und sagte leise: „Danke. Vielleicht brauche ich mehr Menschen wie dich in meinem Leben.“
Es war ein chaotischer Abend, der fast außer Kontrolle geraten wäre, aber auch ein Moment, der Julia klar machte, wie wichtig es ist, sich ihren Gefühlen zu stellen und nicht in ihnen zu ertrinken. Der nächste Tag auf dem Eis würde nicht einfach werden, aber er war eine neue Chance – und dieses Mal war Julia bereit, sie zu nutzen.